1974

Meine intensivste emotionale Begegnung mit Johan Cruyff hatte ich im WM-Endspiel 1974. Da war das der Typ, der den hochverdienten (hat da etwa jemand „Schwalbe“ gerufen???) deutschen Sieg ständig drohte in Gefahr zu bringen. Was ich als kleiner deutscher Junge (Ruhe da draußen, ihr Jungspunde!) im Kreise meiner deutschen Altersgenossen naturgemäß nicht zu schätzen wusste. 

Erst später, durch viele weitere Spiele und diverse Lektüren aufgeschlaut, war ich in der Lage, das Genie dieses Ausnahmekönners annähernd zu begreifen. Es gibt wohl nur wenige Menschen, die diese Sportart zugleich so umfassend und so ästhetisch begriffen haben. Wir, die wir nicht nur Siege, sondern auch schöne Spiele sehen wollen, müssen diesem Holländer wohl auf ewig dankbar sein. Verdient hätte er es.

Was mich, Johan möge es verzeihen, aber die Wahrheit über den Fußball lag auch ihm am Herzen, nochmal zum Thema 1974 bringt. 

Wir wissen heute: Deutschland (also der westliche Teil davon) wurde Weltmeister. Obwohl er vorher gegen den östlichen Teil verlor, und damit, leider, leider, den Holländern, Argentiniern und Brasilianern aus dem Weg ging. Es gibt heute noch viele Leute, die das als Vorteil betrachten. Ich zweifle daran. Denn wenn es außer den Niederländern wirklich ein Team gegeben hat, dass verdientermaßen damals hätte Weltmeister werden sollen, dann waren es die Polen. Ich behaupte sogar: Polen war damals stärker als die Niederlande. Wie auch immer: Deutschland war maximal das drittstärkste Team des Turniers. Und gewann es.

Warum? Weil der liebe Gott half. Wer erinnert sich noch an die Bilder aus dem (es ist so lang her, dass Stadien noch Stadien hießen) Frankfurter Waldstadion, als Hubschrauber versuchten, mit ihren Rotoren die nach einem heute als klimaverändernd begriffenen Wolkenbruch niedergegangenen Wassermassen aus dem Rasen zu drücken? Das Spiel wurde dann doch angepfiffen, aber unter absurden Umständen. Der Flügelwirbel der Polen kam in den Wasserlachen zum Erliegen, und je länger die Partei dauerte, setzte sich auf dem dann knietiefen Acker die konditionelle Überlegenheit der Deutschen durch, die auch noch als allerletztes Mittel auf den unnachahmlichen Torriecher eines Gerd Müller zurückgreifen konnten (Hoeneß verschoss einen Elfer – ein Menetekel?). 

Auf einem regulären Spielfeld hätte Polen klar gewonnen. Behaupte ich im Nachhinein, auf der Suche nach meiner nationalen Brille. 

Aber um auf Cruyff zurückzukommen: Ja, auch er hätte eigentlich im 1974er Finale gekrönt werden müssen. Dass dies nicht geschah, ist eine Ungerechtigkeit. An seinem Genie mindert das nichts.

Platz für Senf.

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