Aiwanger, eine Zeitmaschine und politische Vernunft

Das Theater um das berüchtigte „antisemitische Flugblatt“ und den bayerischen stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger lässt den Werwohlf etwas ratlos zurück. Natürlich – das betreffende Machwerk ist zum Kotzen[1]. So weit vermag der Werwohlf noch zu folgen. Aber schon über die Frage, ob es wirklich antisemitisch ist, kann man sich streiten. Dass dort die Shoa als provokatives Bild herhalten muss, mag man sicher als Verharmlosung klassifizieren, aber nicht jeder, dem es hier am nötigen Anstand mangelt, muss deswegen antisemitische Motive haben. Viel eindeutiger antisemitisch motiviert scheint dem Werwohlf zu sein, wer die Nähe zu einer militanten Organisation sucht, die das Existenzrecht Israels ablehnt. Was jedoch wiederum alle wackeren Streiter wider den Antisemitismus, die in den Medien aufmarschierten, seltsamerweise nicht die Bohne interessiert zu haben scheint. Wie gesagt – ratlos.

Irritierend auch, dass argumentativ eine Art Zeitmaschine verwendet wird. Letztendlich ist es doch ziemlich sinnlos, einem heute 52 Jahre alten Mann vorzuhalten, was er mit 16 Jahren getrieben hat. Auch die Forderungen, er möge sich entschuldigen (besser: um Entschuldigung bitten), muten etwas seltsam an – für etwas, das ca. 35 Jahre her ist? Soll es etwa zur Regel der politischen Auseinandersetzung werden, vom Gegner zu verlangen, dass er ein durch und durch lauteres und sündenfreies Leben hinter sich zu haben hat? Wohl kaum, denn von Mitgliedschaft bei kommunistischen Antidemokraten (Kretschmann) bis zur Nähe zu Terroristen und Angriff auf Polizeibeamte (Fischer) ist alles schon vorgekommen, gilt aber offenbar als lässliche Sünde, selbst noch jenseits des Teenager-Alters. Von der Intensität des Vergehens her würde der Werwohlf diese Fälle aber als weitaus schlimmer einstufen als das Verfassen oder Mitsichführen eines einzigen üblen Flugblatts. Nur – es handelt sich um links motivierte Taten, und hier gilt zumindest in der veröffentlichten Meinung wohl der Grundsatz „quod licet iovi non licet bovi“. Oder wie es im SED-„Lied der Partei“ hieß: „Denn wer da kämpft für das Recht, der hat immer Recht“, wobei man „Recht“ selbstverständlich im sozialistischen Sinn zu lesen hatte. Was beim Werwohlf für eine gewisse Ratlosigkeit sorgt.

Diese Zeitmaschine wird angetrieben durch einen Verdacht. Als Aiwanger auf einer Demonstration ausrief, man werde sich „die Demokratie zurückholen“, scheinen bei den üblichen Verdächtigen alle Alarmglocken geklingelt zu haben. Demokratie – das ist doch immer nur das, was man als Linker will! Wenn ein Nicht-Linker so spricht, dann muss es sich mindestens um Populismus handeln, wenn nicht gar um Schlimmeres. Dann droht die Machtübernahme. So einem Politiker darf man keine Regierungsverantwortung übertragen, und dieses Flugblatt zusammen mit der Äußerung auf der Demonstration zeigen das eindeutig! Dummerweise aber hat dieser Mann tatsächlich Regierungsverantwortung seit ein paar Jahren in Bayern, und irgendwelche Versuche von ihm, bayerische Institutionen in solche der Freien Wähler umzuwandeln oder Oppositionelle auszuschalten, sind bisher nicht bekannt geworden. Die Nazi-Wolf-Schreier (Wolf ohne „h“!) verkennen, dass die Freien Wähler zwar vieles sein mögen, aber keinesfalls eine geschlossene ideologische Bewegung. Von der Aufsicht durch die CSU und ihren Chef ganz abgesehen. Selbst wenn Aiwanger ein besonders gut getarnter Nazi sein sollte, hätte er keine Chance, es auszuleben. Aber er ist es wohl nicht. Seine heutige Einstufung des Flugblattinhalts ist eindeutig. Wer ihn zu einer Gefahr hochstilisiert, macht sich lächerlich. Es geschieht trotzdem – was den Werwohlf ratlos zurücklässt.

Nun mag man über Herrn Aiwanger unterschiedlicher Meinung sein. Aus des Werwohlfs wie üblich arroganter Sicht scheint er nicht besonders intelligent zu sein und in der politischen Auseinandersetzung eher unbeholfen. Er beherrscht die Regeln des medialen Skandalismus nicht und zeigt sich auch eher störrisch als geschmeidig – also ganz Söders Gegenentwurf. Ein Profi hätte, ob nun der Bruder Autor war oder nicht, sich öffentlich in ein Büßergewand gehüllt und Asche auf sein Haupt gestreut, eine jugendliche Verirrung beklagend, die damaligen Zeiten anprangernd, und auf seine seitherige Läuterung verwiesen. Die Namen Kretschmann und Fischer hätten hier auch gute Dienste geleistet. Aber so ist der Hubert nicht. Der lässt sich nicht von seinen Gegnern ans Bein pinkeln. Er beantwortet Söders skurrilen Fragenkatalog betont destruktiv und geht zum Gegenangriff über gegen die, die er als Urheber ausgemacht hat und die sowieso für ihn passende Ziele darstellen. Genau das finden sehr viele Wähler in Bayern gut, denen die Bevormundungen eben dieser Kreise schon vorher übel aufstießen.

Und damit sind wir bei den anderen. Dem „Neuen Süddeutschland“ beispielsweise, das die Kampagne losgetreten hat, mit Methoden, die es einem schwer machen, noch an eine Überparteilichkeit dieses Blatts zu glauben – es sei denn, die Ungewissheit über Rot oder Grün kann noch als solche durchgehen. Und beim vielstimmigen Chor der Ampel-Parteien, der von den öffentlich-rechtlichen und anderen linken Medien dankbar aufgenommen wurde. Dieser Chor hat mittlerweile aber das Problem, das er nicht so recht zu vermitteln vermag, warum Aiwanger denn nun zurückzutreten bzw. warum Söder ihn zu entlassen habe. Weil er vor vielen, vielen Jahren ein ekelhaftes Flugblatt vielleicht doch nicht geschrieben hat? Weil er jubelnden Massen versprach, diese mögen sich „die Demokratie zurückholen“? Oder weil seine Kommunikation eher der eines Bauerntrampels als der eines Profis entspricht? Es ist schwierig, und die Intelligenteren unter den üblichen Verdächtigen eiern dementsprechend auch ordentlich herum, während die Kommissköppe unter ihnen unverdrossen die Nazi-Gefahr heraufbeschwören. Dummerweise wollen jetzt aber auch noch die Juden nicht mehr mitspielen. Frau Knobloch und Herr Schuster machen zwar kein Hehl daraus, dass ihnen der Herr Aiwanger alles andere als sympathisch ist, sie sind aber unabhängig genug, um Söders Entscheidung, ihn nicht zu entlassen, rational einzuordnen.

Timing ist alles, das wissen wir spätestens seit dem Spiegel-Titel zur „Barschel-Affäre“, die wohl weitaus mehr war als das, der aber genau am Wahlsonntag veröffentlicht wurde. Dass ausgerechnet jetzt ein so altes Machwerk hochgespült wird, kann nur ein sehr naiver Mensch für Zufall halten. Aber wie übertrieben solche Kampagnen dann ausfallen – das macht wirklich ratlos.

[1] Ironisch, dass der Inhalt des Flugblatts ausgerechnet durch die Kämpfer gegen den rechten Antisemitismus erst so richtig Reichweite bekam.

Ein Gedanke zu „Aiwanger, eine Zeitmaschine und politische Vernunft

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