Sag mir, wo du stehst

„Sag mir, wo du stehst“, so lautet der Titel eines bekannten Lieds der DDR, in dem die Zuhörer aufgefordert wurden, „sich erkennen zu geben“ und sein „wahres Gesicht“ zu zeigen. Die in der DDR aufgewachsenen Bekannten des Werwohlfs eint die Abneigung gegen das Lied, denn es stand natürlich fest, wie dieses Bekenntnis auszusehen habe. Was alle, die es aber nicht teilten und trotzdem sich und ihre Familie nicht in offenen Konflikt mit dem Regime bringen wollten, eben dazu zwang, unehrliche Lippenbekenntnisse abzugeben, wenn sie um ein solches Bekenntnis nicht herum kamen.

Interessant ist aber schon, warum danach überhaupt gefragt wird. Ist doch der Sozialismus der einzige Weg in die beste aller Welten, den Kommunismus, und wie dumm müsste man sein, das nicht zu wollen? Wozu also ein Bekenntnis einfordern?

Es ist ja nicht so, dass es das im „besten Deutschland“ nicht auch (wieder) geben würde. Wer wird nicht alles aufgefordert, sich gegen „Rechts“ oder – großzügiger – „Rechtsextremismus“ zu bekennen, „Gesicht zu zeigen“, vom Bundesligatrainer bis zum Unternehmenschef. Fehlt nur noch, die Teilnahme an den entsprechenden Demonstrationen einzufordern wie weiland die zu denen am 1. Mai. Obwohl – beim besagten Fußball-Coach war es wohl nicht mehr weit entfernt davon. Doch die obige Frage stellt sich da nur um so dringender: Warum muss sich jemand öffentlich so positionieren?

Das verlangt man doch nur dort, wo man sich nicht sicher ist. Niemand erwartet von anderen öffentliche Stellungnahmen, wie sehr man das Quälen von Hundewelpen oder den Sex mit Kleinkindern verabscheut, weil zu Recht davon ausgegangen wird, dass von 100 Befragten über 99 die gesellschaftlich akzeptierte Antwort geben würden, und zwar aus vollem Herzen. Aber wie er zum Rechtsextremismus steht, soll jeder einzelne öffentlich bekunden?

Der Werwohlf jedenfalls würde solche Fragen als Beleidigung ansehen, und zwar gleich eine mehrfache. Erstens erscheinen ihm rechtsradikale Ideen absurd[1], und extremistische Methoden lehnt er sowieso grundsätzlich ab. Selbst wenn er zweitens zu der Minderheit gehörte, die Rechtsextremismus toll findet, würde er das als einigermaßen mit Intelligenz ausgestatteter Wohlf doch niemals öffentlich zugeben. Die Rechtsextremen selbst aber verstecken sich in der Regel sowieso nicht, sondern zeigen sich offen, nur eben nicht im gewünschten Sinn und nicht erst nach Aufforderung.

Es gibt da allerdings noch ein klitzekleines Problem. Was ist eigentlich „Rechtsextremismus“? Der Werwohlf kann sich mit der These anfreunden, dass die hohen Teilnehmerzahlen der betreffenden Demonstrationennicht zuletzt darauf zurückgeführt werden können, dass sich jeder etwas anderes darunter vorstellen konnte. Die einen positionierten sich gegen „Nazis“, was angesichts der deutschen Geschichte einerseits verständlich ist, andererseits aber auch aus der Zeit gefallen zu sein scheint, denn um hierzulande und heutzutage ein richtiger Nationalsozialist zu sein, müsste man Dinge tun und sagen, die einen sofort von seiner Umgebung isolieren, wenn nicht gar als Spinner kennzeichnen würden. Alle Europäer östlich von Deutschland als „Untermenschen“ zu titulieren, kann sogar richtig gesundheitsgefährdend sein, wenn am Nebentisch ohne Weiteres der Deutsch-Russe von nebenan oder der polnische Stukkateur sitzen können. Und lauthals das Töten von Juden zu fordern, bringt einen sogar in den Knast – wenn man nicht gerade im selben Moment eine Palästinenser-Fahne schwingt. Wie gesagt – schwierig.

Deswegen muss man den Begriff „Nazi“ etwas erweitern, und da sind in diesen Zeiten der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Die meisten haben für sich eine griffige Definition gefunden: alles politisch rechts von mir. Daher ja auch „gegen Rechts“. Das „-extrem“ kann man sich dazu denken, ist aber inkludiert, denn „rechts“ ist immer extrem. Und deswegen erweitern tapfere Widerständler und Widerständlerinnen den Kreis der Entlarvten auch gerne um Union und FDP. Wo man schon mal dabei ist – warum halbe Sachen machen? Dass deren Deppen dann noch z.T. mitmarschieren oder nur lobende Worte finden, zeigt nur, dass sie nicht begriffen haben, wohin sich der Mantel der Geschichte bewegt. Aber Hauptsache, sie haben begriffen, dass die künftigen Landesregierungen im Osten des Landes links dominiert werden oder bleiben müssen, und dass sie ihren Teil dazu beitragen müssen, auch wenn die Mehrheit der Wähler nicht links gewählt hat[2].

So geht eben Demokratie.

[1] DIe Ideen der Rechtsradikalen (nach seiner Definition, also alles rechts von Mitte AfD) kommen dem Werwohlf mitunter vor wie die von jemandem, der ihn überzeugen möchte, dass die Kinder vom Storch kommen. Wobei das sogar noch eine positive Korrelation aufweisen würde, die den rechtsradikalen Ideen aber abgeht.
Wie Sie feststellen, fehlt hier die übliche moralistische Verurteilung. Aber deren Fehlen beruht allein auf dem Umstand, dass sich der Werwohlf sicher ist, die Rechtsradikalen sähen sich moralisch auch komplett auf der richtigen Seite. Moralische Überlegenheit hier wie dort – wie angenehm ist doch da ein rationales Kriterium.

[2] Es wäre natürlich verkehrt, allen Teilnehmern an diesen Demonstrationen solche Gedankengänge zu unterstellen. Die Motivlage dürfte so vielfältig gewesen sein wie die Definitionen von Rechtsextremismus. Nicht zu unterschätzen ist eine wichtige Funktion von solchen Demonstrationen: Sich gut und im Einklang mit anderen zu fühlen.

Platz für Senf.

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